Rechtsprechung: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung - der Gesetzgeber muss Ausnahmen vom strikten Verbot einer Zwangsbehandlung außerhalb eines Krankenhauses zulassen

12.12.2024

Wir haben bereits in der vorangegangenen Ausgabe über das Verfahren BVerfG v. 26.11.2024 – 1 BvL 1/24 und die Hintergründe berichtet. In diesem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ging es darum, ob eine sogenannte Zwangsbehandlung entgegen den ausdrücklichen Vorgaben in dem für das konkrete Verfahren noch maßgeblichen § 1906a I 1 Nr. 7 BGB a.F. (jetzt wortgleich § 1832 I Nr. 7 BGB) in Ausnahmefällen auch im Wohnumfeld der betroffene Person möglich sein muss.

Am 26. November ist nun das Urteil ergangen, das Verfassungsgericht hat festgestellt, dass die Vorschrift in ihrer jetzigen Form verfassungswidrig ist. Zwar sei die Regelung grundsätzlich legitim und auch grundrechtskonform, es müsse aber für besondere Fallkonstellationen eine Ausnahmemöglichkeit geben. In den Leitsätzen der Entscheidung heißt es dazu:

„Eine ausnahmslose Bindung der ärztlichen Zwangsmaßnahme an einen stationären Krankenhausaufenthalt ist allerdings unangemessen. Eine Ausnahme ist geboten, soweit Betreuten im Einzelfall nach einer Betrachtung ex ante aufgrund der ausnahmslosen Vorgabe, ärztliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchzuführen, erhebliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit drohen und zu erwarten ist, dass diese Beeinträchtigungen bei einer Durchführung in der Einrichtung, in der die Betreuten untergebracht sind und in welcher der Krankenhausstandard im Hinblick auf die konkret erforderliche medizinische Versorgung einschließlich der Nachversorgung voraussichtlich nahezu erreicht wird, vermieden oder jedenfalls signifikant reduziert werden können, ohne dass andere Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit oder einer anderen grundrechtlich geschützten Position mit vergleichbarem Gewicht drohen.“

Die Vorschrift ist nicht für nichtig erklärt worden, sondern dem Gesetzgeber wurde eine Frist bis Ende des Jahres 2026 eingeräumt, um eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen.

Eine Schwierigkeit wird es zumindest zu Beginn der Geltung der Neuregelung sein, zu bewerten, ob die Belastungen im Fall einer Behandlung in der Einrichtung, in der der Betroffene untergebracht ist, im Einzelfall tatsächlich mit einer signifikant geringeren Belastung verbunden sein würde, als die mit einer Zuführung verbundene Behandlung in einem Krankenhaus. Es gibt bisher keine Daten darüber, wie sich eine Zwangsbehandlung in der Wohneinrichtung auswirkt. Selbstverständlich ist eine Zuführung mit erheblichen Belastungen verbunden und führt in manchen Fällen – vor allem bei sehr alten oder dementer Menschen - aufgrund des damit verbundenen Ortswechsels zu Verwirrtheitszuständen, die sich im Anschluss nicht wieder vollständig zurückbilden. Es ist aber nicht bekannt, welche Folgen der Verlust des Gefühls der Sicherheit des eigenen Wohnbereichs langfristig haben würde. Es wird auch schwierig sein, dies zu erforschen, da bisher niemand beides erfahren konnte bzw. musste und deshalb auch niemand einen Vergleich vornehmen kann. Vermutlich wird das auch individuell unterschiedlich empfunden. Es wird wohl einige Zeit dauern bis insoweit halbwegs sichere Entscheidungen getroffen werden können. Das kann allerdings kein Grund dafür sein, die bisherige Regelung ausnahmslos beizubehalten - wenn wir nicht wissen, welche Belastung schwerer wiegt, können wir auch nicht sicher sagen, dass die bisherige Regelung die bessere ist.

Die umfangreiche und sehr sorgfältig begründete Entscheidung kann hier heruntergeladen werden.


Siehe auch die Kommentierung des § 1906a BGB a.F von Bauer/Braun, Rn. 220 ff, dort wird in Rn. 224 auch auf die Bewertung einer stationsäquivalenten Behandlung eingegangen, um die es in dem der aktuellen Entscheidung des BVerfG zugrundeliegendem Fall ging.


Verlag C.F. Müller

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