13.12.2022
Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen hat es von Amts wegen nachzugehen (im Anschluss an Senatsbeschluss v. 22.6.2022 – XII ZB 544/21, FamRZ 2022, 1556).
Der Sachverhalt betrifft einen klassischen Fall eines Geschwisterstreites über die Versorgung der Mutter durch deren (insgesamt vier) bevollmächtigte Kinder:
I. Die 85-jährige Betroffene, die an einer demenziellen Erkrankung litt, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen konnte, hatte ihrem Sohn und zwei Töchtern, den Beteiligten zu 3 bis 5, im Mai 2012 eine notarielle Vorsorgevollmacht erteilt. Die Betroffene wurde im Haushalt ihres Sohns versorgt, bis eine weitere Tochter, die Beteiligte zu 1, sie Ende des Jahres 2021 ohne Absprache in ihren eigenen Haushalt verbrachte und bei sich aufnahm.
Am 25.11.2021 erstattete der medizinische Dienst ein Gutachten zur Pflegebedürftigkeit, das kognitive Einschränkungen der Betroffenen beschrieb. Unter dem 17.12.2021 erteilte die Betroffene eine Vorsorgevollmacht zugunsten der Beteiligten zu 1 und widerrief mit notarieller Urkunde v. 22.2.2022 die im Mai 2012 erteilte Vollmacht.
Das AG hatte eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Prüfung und Geltendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber der Bevollmächtigten eingerichtet und den Beteiligten zu 2 als Betreuer bestimmt. Das LG hatte die Beschwerden der Beteiligten zu 3, 4 und 5 dagegen zurückgewiesen.
II. Der BGH hielt die Rechtsbeschwerden für begründet und hat die Entscheidung des LG aufgehoben und die Sache an das LG zur erneuten Prüfung und Entscheidung zurückverwiesen.
1. Das Landgericht hatte zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen der Einrichtung einer Kontrollbetreuung lägen vor. Die am 17.12.2021 erteilte Vollmacht und der Vollmachtwiderruf vom 22.2.2022 seien wirksam, da eine Geschäftsunfähigkeit jeweils zu diesen Zeitpunkten nicht nachgewiesen sei. Die Echtheit der Unterschrift unter der am 17.12.2021 erteilten Vollmacht ergebe sich daraus, dass sie vom Ortsbürgermeister beglaubigt sei. Aufgrund ihrer psychischen Verfassung sei die Betroffene außerstande, die Ausübung der bestehenden Vollmacht zu überwachen. Besondere Umstände, die eine Kontrollbetreuung erforderlich machten, ergäben sich hier daraus, dass zwischen den Geschwistern Streit darüber bestehe, ob die Betroffene ausreichend gepflegt und versorgt werde. Die Einrichtung der Kontrollbetreuung sei daher erforderlich, um die Interessen der Betroffenen durch eine neutrale Instanz zu wahren.
2. Dies hält lt. BGH einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Nach § 1896 Abs. 3 BGB kann ein Betreuer auch zur Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten bestellt werden. Mit dieser so genannten Kontrollbetreuung kann im Falle einer wirksam erteilten Vorsorgevollmacht für eine Kontrolle des Bevollmächtigten gesorgt werden, wenn der Vollmachtgeber aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage ist, den Bevollmächtigten zu überwachen und gegebenenfalls die Vollmacht zu widerrufen (Senatsbeschluss v. 8.1.2020 – XII ZB 368/19, FamRZ 2020, 629 Rn. 9 mwN).
b) Nach Auffassung des BGH rügen die Rechtsbeschwerden zu Recht, dass das Landgericht die Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen im Zeitpunkt der Vollmachterteilung (hier der Vollmachtserteilung am 17. 12.2021) nicht hinreichend ausermittelt habe.
aa) Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen hat es von Amts wegen nachzugehen (BGH FamRZ 2022, 1556 Rn. 18 mwN).
Dabei entscheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (BGH FamRZ 2022, 1556 Rn. 19 mwN).
bb) Nach diesen Maßstäben habe das Landgericht die Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung i.S.v. §§ 26, 30 FamFG nicht hinreichend ausermittelt. Das eingeholte Sachverständigengutachten litt nach Auffassung des BGH darunter, dass der Sachverständige nicht ergänzend zur persönlichen Untersuchung der Betroffenen auch noch Erkenntnisse aus einem am 25.11.2021 erstatteten Vorgutachten des medizinischen Dienstes zur Pflegebedürftigkeit einbezogen hatte. In diesem Gutachten sind unter anderem kognitive Einschränkungen beschrieben, die gegebenenfalls sachverständige Rückschlüsse auf die Geschäftsfähigkeit ermöglichen.
Insoweit hatte der im Sachverhalt nicht mitgeteilte Beweisbeschluss der Vorinstanzen den Gutachtenauftrag nach § 280 FamFG offenbar nicht auf die hier zwingende Berücksichtigung der Ergebnisse der Begutachtung durch den medizinischen Dienst vom 25.11.2021 erstreckt.
3. Der angefochtene Beschluss des LG konnte daher keinen Bestand haben.
Für das weitere Verfahren hat der BGH darauf hingewiesen, dass, falls das LG nach ergänzender sachverständiger Begutachtung erneut zur Wirksamkeit der am 17.12.2021 erteilten Vollmacht kommen sollte, es bisher auch an tragfähigen Feststellungen zu den Voraussetzungen für die Einrichtung einer Kontrollbetreuung fehle. Notwendig ist dafür der konkrete, das heißt durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte untermauerte Verdacht, dass mit der Vollmacht dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird (BGH FamRZ 2020, 629 Rn. 10 mwN).
Allein, dass die Beteiligten zu 3 bis 5 der Beteiligten zu 1 vorwerfen, nicht ausreichend für die Betroffene zu sorgen, ersetze nicht die für die Einrichtung einer Kontrollbetreuung notwendigen tatsächlichen Anhaltspunkte, mit denen der Verdacht untermauert sein muss, dass mit der Vollmacht dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird. Ebenso führe ein Geschwisterstreit für sich genommen nicht zur Ungeeignetheit eines Bevollmächtigten, sondern nur dann, wenn er sich zum Nachteil des Wohls der Betroffenen auswirke (vgl. BGH FamRZ 2019, 140 Rn. 11 mwN), wozu ebenfalls keine Feststellungen getroffen seien.
BGH Beschluss v. 2.11.2022 – XII ZB 339/22