Rechtsprechung: BFH Urteil v. 25.11.2021 – V R 34/19 (DStR 2022, 653)

31.8.2022

Leitsatz
Die nach §§ 276, 317 FamFG gerichtlich bestellten Verfahrenspfleger (VerfPfl) für Betreuungs- und Unterbringungssachen können sich auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.

Hinweis der NL-Autoren: Die Umsatzsteuerfreiheit wirkt sich auf die Berechnung der Vergütungspauschale für Verfahrenspflegschaften gem. § 277 Abs. 3 FamFG aus!

Hat das Betreuungsgericht – mangels geeigneter ehrenamtlicher Verfahrenspfleger – die Berufsmäßigkeit der Verfahrenspflegschaft festgestellt, so erhält der Berufsverfahrenspfleger neben dem Aufwendungsersatz (§ 277 Abs. 1 FamFG, § 1877 Abs. 1 und 2 BGB) eine Vergütung entspr. der Regelungen in §§ 2 Abs. 2 S. 1, 3 – 5 VBVG.

Daraus ergaben sich vor dem Urteil des BFH v. 25.11.2021 – V R 34/19 (DStR 2022, 653), zur Umsatzsteuerfreiheit der Verfahrenspflegschaft gem. Unionssteuerrecht die nachfolgenden (Brutto-)Stundensätze:

Vergütungsstufen     Stundensätze
netto
zzgl 19 % MwSt
entfällt lt BFH
Bruttobetrag für
selbstständige BerufsVerfPfl
zgl 7 % MwSt
entfällt lt BFH
Bruttobetrag für VereinsVerfPfl
Stufe 1 23,00 € 4,37 € 27,37 €  1,61 € 24,61 €
Stufe 2 29,50 € 5,61 € 35,11 € 2,07 € 31,57 €
Stufe 3 39,00 € 7,41 € 46,41 € 2,73 € 41,73 €

Tabelle: Vergütungsstundensätze (ohne Aufwendungsersatz) bei Verfahrenspflegern (§ 277 Abs. 2 FamFG iVm § 3 VBVG


Nach Wegfall der Umsatzsteuer verbleiben nunmehr die für selbstständige Berufsverfahrenspfleger und Vereinsverfahrenspfleger gleich hohen Nettostundensätze (iHv – je nach Vergütungsstufe – 23,00; 29,50, oder 39,00 €) entspr. der obigen Stundensatztabelle.

Anders als bei der pauschalen Betreuervergütung, bei der die gesetzl Umsatzsteuer bereits in den Stundensätzen enthalten ist (§ 4 Abs. 2 VBVG), ist sie bei der Vergütung des Verfahrenspflegers nur zu beantragen und zu bewilligen, wenn der Zahlungsempfänger tatsächlich umsatzsteuerpflichtig ist. Verfahrenspfleger, die als Kleinunternehmer (§ 19 UStG) die Option der Umsatzsteuerfreiheit gewählt haben und Betreuungsvereine, die aufgrund der Rspr des BFH umsatzsteuerfrei sind (BFH BtPrax 2009, 120 = FamRZ 2009, 973), erhalten daher nur den Nettobetrag.

Zur Berechnung der Vergütungspauschale nach § 277 Abs. 3 FamFG:

Die Höhe der Pauschale ist wie folgt zu bemessen:
Voraussichtlich erforderliche Zeit für die Führung der Verfahrenspflegschaft x  Stundensatz des § 3 Abs. 1 VBVG zzgl 4,00 € pauschalierter Aufwendungsersatz je veranschlagter Vergütungsstunde. Die ehedem hinzuzurechnenden 19 % MwSt sind mit dem Urteil des BFH v 25.11.2021, V R 34/19, entfallen und bleiben unberücksichtigt.
Die ursprünglich auf den pauschalierten Aufwendungsersatz zu zahlende und folglich zu erstattende Umsatzsteuer (LG Frankfurt/M Beschl. v. 30.11.2009 – 2-28 T 187/09; Palandt/Diederichsen § 1835 BGB aF Rn 4; Zimmermann FamRZ 2005, 952) entfällt ebenfalls.

Denn anders als beim Verfahrensbeistand nach § 158 Abs. 7 4 FamFG aF wird in § 277 Abs. 3 FamFG nicht bestimmt, dass die Vergütung die auf die Vergütung anfallende Umsatzsteuer abgilt. Vgl nunmehr aber § 158c Abs. 1 FamFG nF, der die inzwischen bestehende Umsatzsteuerfreiheit des Verfahrensbeistandes nachvollzieht, indem die Abgeltung der Steuer keine Erwähnung mehr findet.

Bei einem Ansatz von 200 Minuten (kleine Pauschale, wie sie beim AG Frankfurt/M für ua vorläufige Betreuungen und für Verlängerungen von Betreuungen seit Jahren praktiziert wird) folgt daraus:

3,33 Std × 39,00 € (gem. § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VBVG) = 129,87 €
4 € pauschaler Aufwendungsersatz je Std = 4 × 3,33 = 13,32 €
Gesamtsumme netto: 143,19 €
Statt bisher (plus 19 % MwSt = 27,21 €) 39,00 €
Gesamtsumme brutto: 170,40 €

 

Bei einem Ansatz von 300 Minuten (große Pauschale gem Praxis des AG Frankfurt/M für ua Betreuerbestellungen im Hauptsacheverfahren) folgt daraus:

5 Std × 39,00 € = 195,00 €
4 € pauschaler Aufwendungsersatz je Std = 20,00 €
Gesamtsumme netto: 215,00 €
Statt bisher (plus 19 % MwSt = 40,85 €)  
Gesamtsumme brutto: 255,85 €

 

Hierzu sei die folgende, schon etwas ältere Entscheidung des BGH in Erinnerung gebracht:
BGH FamRZ 2021, 886, LG Kassel FamRZ 2021, 307, bestätigend

 


Verlag C.F. Müller

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